Warum ich in Calais bin

Mein Alltag besteht seit März 2022 aus Reis, Curry, Salat. Als Team von 10 – 20 Freiwilligen betreiben wir eine ehrenamtliche Küche in Nordfrankreich. Jeden Tag verteilen wir hunderte Mahlzeiten, im Sommer sogar tausende. Die Menschen, die zu unseren Essensverteilungen kommen, sind aus dem Sudan, Äthiopien, Eritrea, Kurdistan, Afghanistan, dem Irak, dem Iran und so ziemlich jeden anderem Land, aus dem Menschen flüchten oder wo es ihnen schwierig gemacht wird zu leben.

Wie unsere Essensverteilungen aussehen.


Andere Organisationen verteilen Essenspakete zum selber kochen, Zelte oder Schlafsäcke, bieten Möglichkeiten zum Handy laden und beraten zu Asyl-Anträgen, veranstalten Spiel- und Lern-Einheiten für Kinder, bieten Erste Hife und medizinische Beratung an, helfen Menschen in Notfallsituationen, kümmern sich spezifisch um Frauen und Kinder, dokumentieren die andauernden Räumungen der Camps und Menschenrechtsverletzungen und organisieren kulturelle Events und Feste.

Warum existieren diese Organisationen? Die politische Antwort für später aufgehoben, sie existieren wegen der ungefähr 2000 Migranten, die in Calais und Dunkerque leben. Sie leben ohne Unterkunft, einer angemessene Gesundheitsversorgung und nur begrenzten Möglichkeiten, Teil der normalen Gesellschaft Calais zu sein. Die einfache Antwort auf die Frage, warum Menschen diese Organisationen 2015 gegründet haben und immer wieder neue Organisationen gründen, ist also, dass es einen Bedarf dafür gibt.

Gekocht wird in 100-Liter-Kochtöpfen.

Ich selber kam hierhin weil ich das Gefühl habe, hier eine sinnvolle Sache zu tun. Das ist die stoische Antwort, die politische Aspekte und die Frage der Verantwortlichkeit für diese Situation ausspart. Aber diesen Teil will ich nicht ungesagt lassen, also kommt er hier.

Vor kurzem erzählte mir jemand in meiner Organisation davon, die Motivation für die Arbeit in Wut zu finden. Ich fühle keine Wut, dachte ich mir. Was mich antreibt, ist zu sehen, das eine garantierte Mahlzeit 5 Tage die Woche einen Unterschied macht (wir würden liebend gerne 7 Tage die Woche offen sein, also komm vorbei, wenn du das ermöglichen willst). Aber ich habe meinen Stoizismus verloren. Und spüre jetzt auch die Wut.

Ich bin sauer auf den französischen Staat, der absichtlich diesen feindseeligen Lebensraum erzeugt, mit Horden von Bereitschaftspolizisten, bezahlt von der britischen Regierung, mit Räumungen der Camps alle 1 – 2 Tage, mit Polizeigewalt, Diebstahl von persönlichen Gegenständen wie Schlafsäcken oder Zelten, dadurch, indem die Arbeit der ehrenamtlichen Organisationen erschwert wird, in dem sie zum Beispiel mehr und mehr einschränken, wo wir Essen und Wasser verteilen können.

Ich verspüre Ressentiments gegenüber den Bereitschaftspolizisten, die regelmäßig zu unseren Essensverteilungen kommen. „Was ihr macht, ist illegal. Ihr müsst abbauen und gehen.“ Es ist nicht illegal, und meistens realisieren sie das nach einiger Diskussion. Aber was zum Teufel motiviert diese Menschen, als Bereitschaftspolizisten zur Schaffung dieser feindseeligen Umgebung beizutragen, außer purem Rassismus und ein Mangel an Empathie?

Ich bin wütend auf den deutschen Staat. Ich treffe die Menschen, die mein Land in Stich gelassen hat, erkenne sie am gemurmelten „Danke“. In kurzen deutschen Gesprächen finden wir ein kleines Zuhause fernab der Heimat. Aber während meine Deutsch-Kenntnisse mit einer Myriade von Privilegien einhergehen, eines davon ein Pass, der mich in einer Welt leben lässt, wo Grenzen kaum mehr sichtbar sind, kommen ihre Deutsch-Kenntnisse in den meisten Fällen von einem gescheiterten Versuch, ein neues Leben aufzubauen. Asylantrag abgelehnt, keine Arbeitserlaubnis. Also verlassen sie Deutschland, um es woanders zu versuchen. Wenn sie sich für Großbritannien entscheiden, geht das einher mit einem 0-Sterne-Aufenthalt in dem höllischen Vakuum von Calais.

Auch fühle ich eine gewisse Bitterkeit, wenn ich höre, das ukrainische Flüchtlinge in Calais in Hostels und Hotels wohnen, mit 3 Mahlzeiten am Tag versorgt werden, und Visa-Beratung von britischen Behörden bekommen. Warum können wir diese Hilfsbereitschaft nicht allen Menschen zeigen, egal wo sie herkommen?

Um das Thema der Wut abzuschließen, am meisten verspüre ich sie gegenüber der Festung Europa. Mit Selbstgefälligkeit lässt sie Menschen an ihren Grenzen leiden und sterben. Ein riesiger Country Club von Menschen, die sich, wie aus der Geschichte bekannt, nicht von Mitleid davon abhalten lassen, ihren Reichtum zu schützen und zu vermehren. Aber das macht es nicht weniger niederschmetternd. Und auch wenn meine Erfahrungen mit Europas Grenzen hauptsächlich Calais betreffen – es gibt viele andere Orte wie Calais entlang der europäischen Grenzen. Tödliche Grenzen, die den systemischen Rassismus und den Mangel an Menschlichkeit in unseren Gesellschaften zeigen, was dazu führt, dass Wohltätigkeitsorganisationen aus dem Boden schießen, um ähnliche Services wie hier anzubieten.

Ich packe meine Wut und Frustation da rein, gutes Essen zu machen und das zu verteilen. Während es mir schmerzhaft bewusst ist, dass das bei weitem nicht alles ist, was Menschen brauchen. Was sie brauchen, ist eine Unterkunft, Gesundheitsvorsorge, Möglichkeiten zum Arbeiten und zur Ausbildung, ein Gefühl von Zuhause und Gemeinschaft. Aber das liegt nicht in meinen Möglichkeiten, also mache ich Reis, Curry, und Salat. Komm gerne vorbei und mach mit.

Die deutsche Version dieses Textes wurde teilweise mit DeepL übersetzt.

 

Ein Gedanke zu „Warum ich in Calais bin“

  1. Interesting point of view, that state money actually flows into making peoples situation worse. and nice to point out, that eventually individuals (in collective) lend their power to how exactly that happens.

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